Vektoren und Koordinaten-Tupel
So weit, so abstrakt. Was aber ist zu tun, wenn es nicht um das Verstehen abstrakter Strukturen, sondern um praktische Berechnungen geht?
Ganz einfach: Wir können das Rechnen mit beliebigen Vektoren — also das Bilden von Vielfachen eines Vektors, die Addition zweier Vektoren — auf das Rechnen mit Zahlen-Tupeln zurückführen. Den konkreten Vektorraum der Zahlen-Tupel haben wir nicht ohne Grund betrachtet.
Alles was wir brauchen ist eine Basis des Vektorraums
- Mit Vektorraum
\(V\) starten - Der Ausgangspunkt ist ein Vektorraum
\(V\) , zum Beispiel der Vektorraum aller Geschwindigkeitsvektoren in einem Punkt. - Eine Basis von
\(V\) wählen -
Ein Vektorraum besitzt viele gleichberechtigte Basen. Wählen wir also irgendeine von diesen aus:
\[\vec{v}_1, \vec{v}_2, \dots , \vec{v}_n\] - Vektoren aus
\(V\) auf Koordinaten-Tupel im\(R^n\) abbilden - Dann kann man jeden Vektor
\(\vec{u} \in V\) nach dieser Basis entwickeln, in Komponenten zerlegen\[ \vec{u} = \alpha_1 \vec{v}_1 + \alpha_2 \vec{v}_2 + \dots + \alpha_n \vec{v}_n = \sum_{i=1}^{n} \alpha_i \vec{v}_i \] und ihm das eindeutig bestimmte Zahlen-Tupel der Entwicklungskoeffizienten zuordnen
\[ \vec{u} = \sum_{i=1}^{n} \alpha_i \vec{v}_i \quad \longmapsto \quad \left(\matrix{\alpha_1\cr\alpha_2\cr\vdots\cr\alpha_n} \right) \in R^n \]
Diese Abbildung von Vektoren aus
- umkehrbar
-
Ich kann mithilfe der Basis den Vektor eindeutig aus dem Koordinaten-Tupel rekonstruieren
\[ \left(\matrix{\alpha_1\cr\alpha_2\cr\vdots\cr\alpha_n} \right) \quad \longmapsto \quad \sum_{i=1}^{n} \alpha_i \vec{v}_i \in V \] Beachten Sie, dass die Basisvektoren in die Rekonstruktion eingehen.
- linear
-
Die linearen Operationen Vielfaches bilden und addieren können mit den Tupeln ausgeführt werden.
- Um das Koordinaten-Tupel des Vielfachen
\(\lambda \vec{s}\) eines Vektors zu erhalten, muss ich nur dessen Koordinaten-Tupel im\(R^n\) mit\(\lambda\) multiplizieren. - Um das Koordinaten-Tupel der Summe zweier Vektoren zu erhalten, kann ich einfach deren Koordinaten-Tupel addieren.
Aus
\[ \vec{s} \quad \longmapsto \quad \left(\matrix{\alpha_1\cr\alpha_2\cr\vdots\cr\alpha_n} \right) \;,\qquad \vec{t} \quad \longmapsto \quad \left(\matrix{\beta_1\cr\beta_2\cr\vdots\cr\beta_n} \right) \] folgt
\[ \lambda \,\vec{s} \quad \longmapsto \quad \lambda \,\left(\matrix{\alpha_1\cr\alpha_2\cr\vdots\cr\alpha_n} \right) = \left(\matrix{\lambda\,\alpha_1\cr\lambda \, \alpha_2\cr\vdots\cr\lambda \, \alpha_n} \right) \;,\qquad \vec{s} + \vec{t} \quad \longmapsto \quad \left(\matrix{\alpha_1\cr\alpha_2\cr\vdots\cr\alpha_n} \right) + \left(\matrix{\beta_1\cr\beta_2\cr\vdots\cr\beta_n} \right) = \left(\matrix{\alpha_1 + \beta_1 \cr\alpha_2 + \beta_2 \cr\vdots\cr\alpha_n + \beta_n } \right) \] - Um das Koordinaten-Tupel des Vielfachen
Genau das eben Beschriebene machen Sie fast schon automatisch: Rechnen mit den Koordinaten-Tupeln, also den Elementen des
Was soll also der ganze Zauber mit dem abstrakten Vektorraum, wenn ich doch wieder im \(\color{#005A9C}{R^n}\) lande?
- Koordinaten-Tupel sind nur die halbe Wahrheit
- Die andere Hälfte steckt in der — willkürlich gewählten — Basis.
- Die Basis wird benötigt, um einem Vektor sein Koordinaten-Tupel zuzuordnen. Und umgekehrt, um aus dem Koordinaten-Tupel den Vektor zu rekonstruieren.
- Koordinaten-Tupel hängen von der Basis ab. Ohne die Angabe der Basis des Vektorraums
\(V\) (implizit oder explizit) sind sie sinnlos.
- Vektoren sind keine Zahlen-Tupel
- Sie lassen sich nur als solche darstellen. Konkret: ein Geschwindigkeitsvektor ist kein Tripel reeller Zahlen, der Ortsraum ist nicht der Raum der Zahlentripel, …
Das Ganze mit etwas mehr Formeln
Die Wahl einer Basis zeichnet eine lineare, umkehrbare Abbildung
Linear bedeutet:
Wie sieht diese durch eine Basis ausgezeichnete Abbildung aus?
Ganz einfach: Die Basisvektoren von
Verbunden mit der Forderung, dass die Abbildung linear sein muss, ist damit bereits der Wert von
Zur Veranschaulichung ein Bild
Bezüglich einer Basis lassen sich Vektoren durch Zahlen-Tupel darstellen.
In dem Bild haben wir wie üblich die Menge der geordneten Zahlenpaare durch zwei senkrecht aufeinanderstehende Zahlengeraden veranschaulicht.
Lessons learned
Wir haben unsere Koordinaten-Tupel wieder.
- Dazu legen wir eine bestimmte Basis des uns interessierenden — abstrakten oder konkreten — Vektorraums
\(V\) fest. - Relativ zu dieser Basis wird jedem Vektor aus
\(V\) linear und umkehrbar sein Koordinaten-Tupel im Vektorraum\(R^n\) der Zahlen-Tupel zugeordnet. -
Vielfache und Summen von Vektoren aus
\(V\) können — wegen der Linearität und Umkehrbarkeit der Zuordnung — mit Koordinaten-Tupeln berechnet werden.
Man darf die Koordinaten-Tupel nicht mit den Vektoren selbst verwechseln.